Münchner Mischgewerbe
In der Hansastraße liegen Welten nebeneinander. Das Bordell und das ADAC-Hochhaus, ein Dorado für Glücksspieler und ein Turm für Wissenschaftler - eine Ortserkundung
Es sind die Geschichten der Nacht, die diese Straße seit langem bestimmen. So wie die Geschichte dieses Mannes aus Landshut, der vor zwei Wochen ins Pussycats an der Hansa 9 kam. "Ein Wahnsin, der Kerl", sagt Janos Krafcsik. Der Typ setzte sich auf einen der weißen Lederhocker an die Bar, zu den Frauen und den anderen Freiern, und dann hat er erzählt: Wie er sich vor einem Jahr mit dem Hubschrauber im Regenwald Afrikas absezten ließ, wie er fast zwölf Monate dort lebte, mit nichts als einem Taschenmesser, wie er mit Löwen gekämpft hat und dann krank geworden ist - und wie ein Medizinmann ihn zu irgendeiner Botschaft gezerrt hat, damit sie ihn wieder heimfliegen, in ein Krankenhaus nach Bayern. "Der hat das ernst gemeint", sagt Bordellchef Krafcsik, "wir haben uns totgelacht." (...)
Vom Straßenstrich aber will Notbohm nichts Negatives sagen, genau wie andere Kollegen im Bezirksausschuss. Und vom Kampf gegen die Prostitution ist auch schon lange keine Rede mehr. "Es gibt halt eine Nachfrage", sagt Notbohm, "und dann machen wir das lieber hier als in einem Wohngebiet." (...)
Die Geschäfte der Frauen gingen schon besser, früher war die Hansastraße eine große Nummer in München. Heute haben sie draußen auf dem Strich nur noch wenige Meter, auf denen sie stehen dürfen. Im Sommer sind es mehr als ein Dutzend, bei schlechtem Wetter weniger. Viele Taxifahrer wissen trotzdem noch, wo sie hinfahren müssen, so wie Ahmed. "Wir hatten keine Ahnung wohin, da hat er uns hierher gefahren", sagt einer der beiden Kölner, die draußen vor der Tür stehen. Bei einem spannt das Hemd, beim anderen rutscht die Brille, bei beiden liegen die Ehefrauen knapp 600 Kilometer entfernt im Bett. "Die dürfen von der Geschichte nicht erfahren", sagt der mit der Brille.
So ist das nun mal. Die Geschichten, die in der Hansastraße spielen, bleiben meist in der Hansastraße. Ein paar Anekdoten hat Krafcsik aber doch noch, wie die Story von dem Betrunkenen, der alle Frauen hässlich fand und dann den Transvestiten wählte, ohne es zu merken. "Oder meine Lieblingsgeschichte", sagt Krafcsik. Eines Nachts kam dieser Araber, und es ist nicht ganz klar, ob es nur eine champangerselige Laune war, wie das manchmal ist bei reichen Männern. In dieser Nacht meinte es der orientalische Gast bitterenst: "Der wollte ein Mädchen heiraten, auf der Stelle. Dann hat er Geld geboten." Krafcsik hat ihm vorsichtig erklärt, dass allein die Frau entscheidet. Der Araber hat das nicht kapiert, schließlich wollte er sie ihm sogar in Gold aufwiegen. "Wir haben es ihm ausgeredet", sagt Krafcsik.
Dieses eine Mal, da war es nicht nur eine Geschichte der Nacht. Ein bisschen war es auch mal eine Geschichte aus 1001 Nacht.
Text: Florian Fuchs
Süddeutsche Zeitung, 21. April 2012
Bilder unter dem Titel "Bordell Deutschland" im SPIEGEL 22/2013