Glaube, Lüge, Hoffnung
Nach dem Missbrauchs-Geständnis des ehemalgen Ettaler Präfekten bricht für seine Mitbrüder eine Welt zusammen. Sie hatten ihm vertraut.
(...) Die Ettaler Benediktiner, die die schlimmsten Jahre hinter sich zu haben glaubten, stehen einmal mehr vor einem Trümmerhaufen. Fünf Jahre lang glaubten sie einem hartnäckig leugnenden Täter mehr als den Opfern. Ein Muster, das Thomas Pfister bekannt vorkommt: Der Schutz der Institution und damit auch des Täters stehe in Ettal immer noh über dem Opferschutz, sagt der Anwalt, den das Erzbistum München und Freising im Jahr 2010 wenige Tage nach Bekanntwerden der Missbrauchsfälle als Sonderermittler eingesetzt hatte, als Erzbischof Reinhard Marx den unbedingten Willen zur Aufklärung im Kloster nicht erkennen konnte. "Man hat nichts gelern", sagt Pfister jetzt.
Abt Barnabas Bögle weist das zurück. Seit beannt geworden ist, dass etwa 15 Patres über Jahrzehnte hinweg wohl mehr als 100 Schüler schlugen, quälten und sexuell missbrauchten, sei viel passiert im Kloster. Prävention, Evaluation in Schule und Internat, zwei Erzieher pro Internatsgruppe nennt der Abt als Beispiele für Maßnahmen,die verhindern sollen, dass sich so etwas wiederholt. (...)
Anwalt Pfister erkennt dagegen "bekannte Reflexe". Kaum ein anderer hat diese so intensiv kennengelernt wie der ehemalige Sonderermittler. In seinem Münchner Büro stehen noch heute die "Ordner des Grauens", wie er die Hefter mit den Berichten der Missbrauchsopfer nennt. Dieses bis 1990 bestehende System konnte seiner Meinung nach nur deshalb so lange ungestraft gelebt werden, weil im Kloster zu viele Patres wegschauten, sich wegduckten oder es duldeten, um die Gemeinschaft zu schützen. Diese sei in einem Kloster so eng genküpft wie in einer Familie. "Wenn Sie ein Kind haben und es ist missraten, dann bleibt es dennoch Ihr Kind, Sie halten zu ihm, so lange es möglich ist. Die Täter, die allesamt gestorben oder wegen Verjährung einer Gerichtsstrafe entgangen sind, verhielten sich bis 1990, "wie Verbrecher es eben tun", sagt Pfister: "Alles leugnen, nur zugeben, was nicht zu widerlegen ist."
Text: Heiner Effern
Süddeutsche Zeitung, 7./8. März 2015